Der erste Tausender in der Sudetenwelle

Geschrieben von Webmaster am .

Zwischen Polen und Tschechien, im Lee der Sudeten, gibt es jedes Jahr eine Wellenflugzone, die eine Gesamtlänge von 240km aufweist. Da kam Martin und David schon 2016 der Gedanke, dort einmal richtig große Streckenflüge durchzuführen. 2016 hat das fast geklappt. 2017 spielte dann das Wetter nicht mit, da einerseits der Wind nie paßte und vor allem die Feuchte viel zu hoch war. Also der nächste Versuch 2018.

Diesmal war zumindest die Feuchte kein Problem, dafür aber eher der Wind. Wie die beiden es dennoch geschafft haben, hat Martin in einem Bericht dokumentiert.

Der erste Tausender in den Sudetenwellen

Wir schreiben den ersten November 2018. Am Tag zuvor war die Vorhersage für den heutigen Tag keine schlechte. Es sollte viel Wind in niedrigen Höhen geben, aber auch in großen Höhen. Dazwischen war ab und an eine etwas geringere Windgeschwindigkeit, aber nach den Vorhersagen sollte sich die Welle bis nach oben ausbreiten. Zudem war kaum Feuchte vorhergesagt. Also haben wir wieder einen Alarmstart um 0430 vorgenommen. erste Handlung: Flugzeug startklar machen.

Flugzeug beladen im Schein der Taschenlampen

Eine halbe Stunden später sind wir oben am Abflugpunkt Piste 23 und stellen den Arcus ab. Danach heißt es erst einmal Frühstücken und  - ganz dringend - Kaffee einfüllen. Wir brauchen ja auch Treibstoff ;-)

Kurz nach um 6 laufen wir hoch zum Start. Leider will auch diesmal der Bodenwind kein Freund sein, da er uns entgegen kommt - Rückenwind. So ein Mist, das will man beim Start eigentlich nie haben. Da kann man sich nur zwischen Satan und Beelzebub entscheiden. Entweder gegen den Wind den Hang hoch oder mit dem Wind den Hang herunter starten wären die Alternativen. Der Grund für den Rückenwind ist einfach: Der Rotor steht schräg direkt über der Bahn. Na mal sehen, was das wird.

Da der Wind aber immer einmal abschwächt, entscheiden wir uns für den Start hangabwärts. Kurz nach halb sieben sind wir dann startklar, der Wind ist kaum vorhanden und los geht es. Martin schiebt den Stachel rein und der Arcus beschleunigt. Ca. 50-100m vor unserem Startabbruchpunkt hebt das große Flugzeug ab und wir beschleunigen weiter im Bodeneffekt. Bei vermutetet Rotorturbulenz direkt am Ende der Bahn will man nicht an der Minimalfahrt herumkratzen. Wie weise die entscheidung ist, bekommen wir dann gleich zu spüren. Obwohl die Drehzahl des Motors paßt, geht es am Anfang nur mit nicht einmal einem Meter hoch - wir sind also genau im absinkenden Bereich des Rotors. Einen Kreis später und, mit dem Auge auf die Rotorwolkenfetzen, fliegen wir etwas nach Norden. Dort geht es dann mit 6m/s hoch und wir können schon nach sieben Minuten den Rattel wieder einfahren, nachdem wir 1100m über Platz haben. In dieser Sekundärwelle, die weit weg von den Bergen steht, steigen wir so bis auf 3000m, bevor der Wind schwächer wird und wir in die Primärwelle wechseln.

 

Sonnenaufgang in 3000m Höhe...

Die Luftmasse ist in den niedrigen Schichten erstaunlich diesig, aber dennoch reicht die Feuchte kaum für Wolkenbildung. Also können wir die Primärwelle nur anhand von ein paar Rotorfetzen nordwestlich von Jesenik ausmachen. Die geht dafür ab, wie Schmidts sprichwörtliche Katze. Mit 2,5-3m/s hievt uns die Luft nach oben und wir lassen einen Höhentausender nach dem anderen unter uns. Erst Davids Worte von hinten, daß der Luftraum gleich alle ist, beendet den Höhenrausch in 7200m MSL. Wahnsinn, was für ein Brecher, der uns hier erwischt hat. Das ist wieder einmal Rekordhöhe für uns alle drei. Mehr kann man in Europa ohne Sonderfreigaben auch kaum bekommen. In der Zwischenzeit hat sich auch ein Lenti gebildet, der noch einmal bestimmt 1000m höher ist, als wir gerade. Offenbar schaukelt die Luft hier gerade wahnsinnig stark.

Ein Lenti über Jesenik in der ansonsten wolkenlosen Luft

Was macht man jetzt mit der Höhe? Bei den Steigwerten haben wir jeden möglichen Meter mitgenommen, so billig kommt man sonst nicht immer ran. Also geht der Wölbklappenhebel nach vorn und wir stechen los in Richtung Riesengebirge. Mit dieser Intensität wird ein großer Streckenflug heute zum Kinderspiel - denken wir noch...

Bei über 250km/h Grundgeschwindigkeit ist der Weg bis ins Riesengebirge nicht lang und mit der vorhandenen Luxushöhe müssen wir uns auch keine Gedanken über das Ankommen machen. Je näher wir kommen, umso mehr wird sichtbar, daß die Strömung auch im Riesengebirge vorhanden ist. Nördlich der Berge ist die Rotorwurst klar zu erkennen, also sollte es hier gehen.

Wolken über dem Riesengebirge und rechts die Rotorwurst

Als wir allerdings an der Rotorwurst entlang Richtung Nordwesten fliegen, zuckt das Vario kaum. Auch die Windanzeige in den Navigationsgeräten erzählt uns nur etwas von 12km/h. Hmmm... Erst einmal fliegen wir aber weiter Richtung Görlitz, um den Wendepunkt im Nordwesten weiter weg zu legen.

Nach der Wende und Wiederankunft im Riesengebirge in knapp 3000m steigen wir bei der Rotorwurst ein. Etwas geht es hoch, aber erstens sind die Steigwerte mau und zweitens auch die zu erreichende Höhe. Mehr als 3500m quetschen wir aus dem schwachen Wind nicht heraus. Also tasten wir uns mit bestem Gleiten weiter am Riesengebirge entlang. Am Südostende gibt es noch 100m extra - knapp 4km Flugweg. Naja viel ist das nicht, kann aber entscheiden.

 Was nun? Optionen gibt es nicht viele. Aus der Höhe kommen wir direkt nicht nach Hause, da der Wind heute recht deutlich auf Süd steht und der Weg von 130km bei Südwind aus etwas mehr als 3000m Höhe sellbst mit dem dicken Luxusdampfer nicht zu machen ist. Da aber offenbar in tieferen Schichten noch ordentlich Bewegung ist, spekulieren wir darauf, daß vielleicht am Eulengebirge und am Reichensteiner Gebirge die Rotoren ebenfalls gehen. Also los.

Vorbei führt uns der Weg an Waldenburg in Schlesien, auf Polnisch Wałbrzych. Die Stadt ist in der Sonne schön zu sehen. Ein Wenig können wir auch schon tragende Linien finden, die sich aus den Hügeln des Waldenburger Berglandes ergeben.

Waldenburg aus 3000m

Am Eulengebirge angekommen, finden wir auch bald eine tragende Linie und sogar etwas Steigen. Das stimmt uns hoffnungsvoll für den weiteren Weg. Unser Ziel, das Altvatergebirge, erscheint fast unerreichbar weit weg.

Am Horizont kann man das Altvatergebirge im Dunst erahnen

Kilometer für Kilometer schwabbeln wir in den tragenden Linien auf die Berge am Horizont zu und sehen, daß der Wind in den geringer werdenden Höhen immer stärker wird. Da wir aber mit der Höhe ökonomisch umgehen, sieht es machbar aus, daß wir ankommen. Mit dem Teleobjektiv kann man auch bald den Praded mit seinem Aussichtsturm fotografieren.

Der Praded am Horizont

Auf dem Weg dahin bekommen wir am Reichensteiner Gebirge einen Wahnsinnstritt in den Hintern. Mit einer irren Turbulenz fallen wir in eine Luftmasse rein, die uns bis über 6m/s Steigen spendiert. Natürlich nehmen wir das mit, so gut wir können und verstehen es erst nicht. Ein Rotor ist das nicht. Vermutlich sind wir hier in einen hydraulischen Sprung geraten, der da hinter dem Reichensteiner Gebirge stand. Unserer Erfahrung nach gibt es diese Dinger häufig, wenn über einer sehr schnellen Windschicht in geringer Höhe eine Windschicht mit geringer Geschwindigkeit liegt. Interessant ist nur, bis in welche Höhe das Ding reicht. Na wie auch immer, mit um die 4000m verlassen wir die Flugzeugschleuder und setzen unseren Weg ins Altvatergebirge fort, hoffend, daß wir da wieder richtig hochkommen.

So richtig will das erst nicht klappen, auch hier hat sich die Flaute ausgebreitet. Auch die anderen Flugzeuge hängen nicht allzu weit über uns, wo wir mit unserer Flächenbelastung nicht rankommen. Also weiter Richtung Südosten. Etwas ernüchtet nach diesen Ereignissen glauben wir zunächst nicht, daß wir heute einen Streckenrekord einstellen. Die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt nur bei 74km/h, damit gewinnt man keinen Blumentopf.

Etwas weiter vom Praded weg zündet endlich eine einigermaßen brauchbare Welle und auch die Windgeschwindigkeit geht von jetzt auf gleich hoch. Warum auch immer jemand den Schalter betätigt hat, aber egal. Mit rund 4800m fliegen wir los nach Vitkov, bis ins äußerste Eck nach Südosten im Wellenraum und zurück zum Praded. Die Stelle von eben geht auch immer noch ganz gut. Als wir dann am Reichensteiner Gebirge vorbeiziehen, geht es da sogar noch etwas besser, so daß wir uns aus 6200m auf den Weg ins Riesengebirge machen. Höhensparend in den tragenden Linien kommen wir da in knapp 4000m an und passen den Luftraum im Nordwesten mit seinen FL125 Maximalhöhe genau ab, um die Strecke nach Görlitz noch etwas weiter auszufliegen. Leider säuft es in dem schmalen Eck des Luftraums recht heftig und die Steiggebiete liegen blöderweise außerhalb :-( Naja also dann zurück ins Riesengebirge.

Dort können wir kaum glauben, was wir sehen. Durch die dunstige Bodenschicht in der Atmosphäre ist die Welle, von der Seite betrachtet, hervorragend zu erkennen. Man muß sich  nur auf der Luvseite in die Stelle mit dem größten Gradienten werfen und die Party beginnt.

Da ist die Welle in der Dunstschicht perfekt zu sehen...

Mit anfangs 3m/s geht es hoch. Wir fliegen noch einen Achter rein, bevor wir uns auf den Weg nach Südosten machen. Mit 5800m sind wir in Komforthöhe und brauchen uns diesmal keine Gedanken zu machen. In der Zwischenzeit wird aber die Feuchte in der Luft etwas mehr. Damit wird es im Cockpit doch etwas kälter und wir schalten erstmalig die Fußheizung ein. Vorher war es selbst in 7000m dank der Sonne so warm im Cockpit, daß niemand frieren mußte. Zudem ist auch die Atmosphäre sehr warm, weniger als -25°C bekommen wir nicht zu sehen.

Da kommt die Feuchte aus Süden...

Auf dem Weg zum Altvater bleiben uns die tragenden Linien treu und wir müssen kaum Höhe abgeben. Hinter dem Reichensteiner Gebirge ist der Lenti jetzt zu einem beeindruckenden Ufo angeschwollen. Was muß da wohl gehen??

Auf dem Weg zum Altvater: Was eine Lenticulariswolke

Je näher wir kommen, umso fetter werden die Steigwerte. Mehr als 3m nehmen wir einfach im Geradeausflug mit und kommen so anstrengungslos 600m höher. Näher betrachtet sind kleine Rippelstrukturen längs zur Strömung zu sehen - ein Phänomen, das wir letztes Jahr schon beobachtet haben und von dem jemand auf dem diesjährigen Wellenfliegertreffen meinte, das wäre ein Instabilitätspänomen in der Strömung. Leider hab ich den Mechanismus aber gerade vergessen. Wie dem auch sei, es ist sehr schön anzusehen.

Rippel an der Unterseite des Lenti, der vielleicht in 8000m Höhe hängt

Weiter geht es direkten Kurs nach Vitkov. Diesmal säuft es aber während der gesamten Tour dorthin und zurück recht deutlich, so daß uns das ganze Vorhaben beachtliche 3500m kostet. Etwas angefressen versuchen wir, Steigen zu finden. Das klappt dann erst am Serak, der uns knapp 2m spendiert.

Durch den zweiten Hochgeschwindigkeitsritt zum Riesengebirge haben wir beachtlich aufgeholt. Die Schnittgeschwindigkeit über den gesamten Tag liegt jetzt schon bei fast 100km/h, wir haben über 850km weg und noch etwa 1,5 Stunden bis Sunset. Das sollte doch reichen, wenn wir jetzt keinen Mist machen. Also fliegen wir weiter in Richtung Eulengebirge. Dort noch 10-15km hinter den Berg fliegen und dann wenden, dann sollten es über 1000 sein.

Wieder treffen wir aus ca. 4000m die tragenden Linien perfekt zu nutzen und kommen ohne Höhenverlust ins Eulengebirge. Dort fangen wir gar schon an, die Höhe wegzudrücken. Auf dem Heimweg hält es David, der gerade fliegt, nicht mehr aus und gibt Kette. Da wir ja kaum Höhe verbraucht haben und der Sonnenuntergang näherrückt, muß die Energie weg. Also braten wir mit allem los, was die dünne Luft hergibt.

Kurz vor Bruntal, mit 1040km auf dem Zähler, beschließen wir dann, den Heimweg anzutreten. Man muß jetzt nichts mehr erzwingen, der Tag war einer der besten, die wir je hatten und eigentlich  gibt es nur noch ein Ziel: Uns und das Flugzeug wohlbehalten zu Hause auf den Platz zu setzen. Also fahren wir heim.

Beeindruckt stellt David auf dem Rücksitz fest, daß die Windanzeige auf dem Navi immer größer wird. Was uns erst komisch vorkommt, erscheint dann beim Blick auf den Vorhaltewinkel schnell plausibel. 1000m über dem Platz sind es dann 115km/h... Was ein Wahnsinn. Wir probieren noch, mit dem Arcus rückwärts zu fliegen. Das klappt nicht ganz, aber 6,5km/h über Grund sind jetzt auch nicht viel. Welch irrer Sturm. Besorgt kratze ich mir am Kopf, was jetzt gleich beim Landeanflug abgeht.

Der wird eigentlich gar nicht so dramatisch. Es sind noch 70km/h auch  in geringen Höhen, so daß der Gegenanflug ziemlich kurz wird. Der Endanflug beginnt mit ca. 200m 1km hinter der Bahn und wir steigen mit nicht weniger als 140km/h auf dem Fahrtmesser ab. Das braucht es auch, da der Windgradient irre ist und man entsprechend vorsorgen muß, daß einem nicht die Fahrt ausgeht. Am Ende setzen wir den Arcus trotz böigem, leicht von links kommendem und starkem Wind sanft auf den Platz und rollen aus.

Was ein Flug, stellen wir nur gemeinsam fest. Es ist mal wieder der höchste, weiteste und längste, den wir je absolviert haben. Auch war das der weiteste Flug auf einem unserer Vereinsflugzeuge... Wahnsinn. Mit einem Bier in der Hand, das wir uns nun echt verdient haben, stellen wir den Arcus auf den Schlafplatz und stecken ihn in die Bezüge. Nur langsam können wir die Ereignisse heute fassen. 1040km, 7200m und 9h55min Flugzeit, und das Anfang November... Was für ein episches Fest.